Das Wichtigste zur Luftfahrtnorm EN 9100 /AS 9100 in Kürze
Um sich nach der EN 9100 zertifizierten zu lassen, ist nicht primär ausschlaggebend, wie hoch der Anteil der betrieblichen Wertschöpfung in der der Luftfahrt, Raumfahrt oder Verteidigung ist. Entscheidend indes ist, dass der Betrieb den Schwerpunkt auf die Entwicklung, Herstellung und/oder Dienstleistungserbringung legt. Handelt es sich um einen Betrieb mit Instandhaltungsfokus oder um einen Händler bzw. Lagerhalter, so kommt eher eine Zertifizierung nach den anderen beiden Luftfahrtnormen, d.h. der EN 9110:2018 für Instandhaltungsbetriebe oder der EN 9120:2018 für Händler oder Lagerhalter in Frage. Die EN 9110 umfasst tendenziell mehr, die EN 9120 weniger Anforderungen als die EN 9100 Luftfahrtbasisnorm.
In deutscher Sprache ist die Luftfahrtnorm in der Revision DIN EN 9100:2018 erhältlich. Es gibt also neben der deutschen DIN Fassung eine europäische Ausgabe (englische Übersetzung) ohne den DIN-Zusatz, die über die European Aerospace Quality Group (EAQG) herausgegeben wird. Inhaltlich sind die deutsche und die englische Ausgabe identisch und daher untereinander gleichwertig – dies gilt im Übrigen auch für die amerikanische AS 9100 der Society of Automotive Engineers (SAE) und der JISQ 9100 der Japanese Aerospace Quality Group. In Deutschland gibt es Stand 2018 etwa 930 Betriebsstandorte mit einer Zertifizierung nach der EN 9100:2018, weltweit sind es knapp 20.000.
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Welche Kern-Anforderungen enthält die EN 9100:2018?
Grundlage der EN 9100:2018 ist die ISO 9001:2015. Insoweit fußt die Luftfahrtnorm nicht nur auf der sog. High Level Structure, also der einheitlichen Aufbaustruktur von ISO-Managementsystemnormen. Die EN 9100 enthält alle Anforderungen der ISO 9001, sie inkludiert diese sogar. Daher zielt auch die Luftfahrtnorm auf ein leistungsfähiges QM-System ab. Dieses muss betriebsübergreifend ausgerichtet sein und an allen Kernprozessen ansetzen, d.h. nicht nur an Prüfungs- und Überwachungsaktivitäten. Die Norm umfasst alle Prozesse, Hierarchien und Phasen der Leistungserbringung, die systematisch nach dem Plan-Do-Check-Act (PDCA) Zyklus erfolgt. Die Anforderungsschwerpunkte der ISO 9001 greifen daher in folgenden Bereichen:
- Kenntnis interner und externer betrieblicher Einflussgrößen sowie interessierter Parteien,
- Aufbau und Aufrechterhaltung eines prozessorientierten Qualitätsmanagementsystems einschließlich dem Wissen und Umgang mit den betrieblichen Risiken und Chancen,
- Verantwortung und Verpflichtung der Geschäftsleitung
- Festlegung von Qualitätspolitik und -zielen unter Berücksichtigung der Kundenzufriedenheit
- Personalqualifikation, betriebliches Wissen, Bewusstsein einschließlich der Festlegung von Verantwortlichkeiten und Befugnissen
- Systematische Planung und Steuerung der Leistungserbringung unter Berücksichtigung der Ressourcen und der Anforderungen an dokumentierte Informationen,
- Systematische Erfassung und Integration von Kundenanforderungen,
- Planung und Durchführung von Konstruktionsarbeiten und Produkt- bzw. Dienstleistungsentwicklungen,
- Auswahl, Überwachung und Steuerung von externen Anbietern sowie Bewertung und Prüfung zugelieferter Produkte und Dienstleistungen,
- Planung und Durchführung der Leistungserbringung einschließlich dessen Freigabe und Tätigkeiten nach der Lieferung,
- Prozess- und Produktüberwachung und -messung sowie Analyse der erhobenen Daten,
- Maßnahmen der Fehlerkorrektur und Risikominimierung sowie der kontinuierlichen Verbesserung
Schon gewusst?
Betriebe, die nach der EN 9100:2018 zertifiziert sind, können sich durch ihren Zertifizierer ergänzend zum EN-Zertifikat immer auch das der ISO 9001:2015 ausstellen lassen.
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Was sind die Luftfahrt-Spezifika?
Die DIN EN 9100:2018 enthält, wie oben beschrieben, vollständig die DIN EN ISO 9001:2015. Die ergänzenden Anforderungen der Luft- und Raumfahrtindustrie werden im Normentext in Fettdruck und Kursivschrift abgedruckt, so dass sich diese deutlich von den ISO 9001er Bestandteilen abheben. Wesentliche Ergänzungen der DIN EN 9100:2018 gegenüber der ISO 9001:2015 sind z. B. Anforderungen an:
- Konfigurationsmanagement,
- Produktsicherheit und an den Umgang mit gefälschten Teilen,
- die Validierung spezieller Prozessen und an kritische Einheiten,
- ein operatives Risikomanagement,
- die Entwicklungsanforderungen, die deutlich über die ISO 9001-Vorgaben hinausgehen, insbesondere im Bereich der Verifizierung und Validierung,
- die Dokumenten- und Nachweisführung,
- die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit,
- die Lieferantenüberwachung und Lieferantenkommunikation,
- die Prozess- und Kundenzufriedenheitsmessung sowie die Verfolgung der Zielerreichung über die sog. PEAR Formblätter.
Durch die luftfahrtspezifischen Erweiterungen rückt die EN näher an die luftrechtlichen Verordnungen der EASA (insbesondere die Implementing Rules zum Part 21 und Part 145) heran, wenngleich ein klar unterscheidendes Merkmal bleibt. Während die EN 9100er Normen ihren Fokus vor allem die Kundenzufriedenheit und Prozessorientierung legen, sind die EASA-Bestimmungen auf die Flug- und Produktsicherheit ausgerichtet.
Wo liegen die Herausforderungen?
Inhaltlich bleibt die EN 9100 / AS 9100 überwiegend unspezifisch. Systemnormen legen zwar fest, was am Ende umzusetzen ist, nicht aber wie Prozesse und Arbeitsschritte im Detail ausgestaltet sein müssen. Es werden keine Tools, Instrumente oder Umsetzungsmethoden vorgegeben, sondern nur die Anforderungen an den Output. Managementsystem-Normen überlassen die detaillierte inhaltliche Prozessausgestaltung, also die Wahl der Mittel, den Unternehmen.
Als Branchenneuling ist es, ohne Expertenunterstützung, aufwendig eine Zertifizierung zu erlangen. Oft fehlt nicht nur luftfahrtindustrielles Fachwissen, auch mangelt es an Know-how für die Interpretation und betriebliche Umsetzung der Normenanforderungen. Mühen bereitet auch der Umgang mit den Vorgaben zur Prozessmessung im Zuge der Process Effectiveness Assessment Reports (PEAR), die nicht in der EN 9100:2018, sondern nur in der EN 9101 beschrieben sind. Nicht zuletzt müssen Betriebe, die eine Zertifizierung in der Luftfahrt, Raumfahrt und Verteidigung anstreben, ohne externe Unterstützung die Denk- und Prüfweise des Zertifizierungsauditors selbst einschätzen lernen. Diese Erfahrungen werden jedoch erst im Audit gewonnen, sodass binnen kurzer Zeit oft viele Defizite behoben werden müssen. Aufgrund der zahlreichen Branchen- und Normenspezifika ist für Betriebe, die sich neu nach einer Luftfahrtnorm zertifizieren lassen möchten, die Hinzuziehung eines Luftfahrt-erfahrenen Beraters fast unverzichtbar.
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Warum verlangen Kunden eine Zertifizierung nach EN 9100 /AS 9100?
Ablauf eines Zertifizierungsaudits
Informationen zum Ablauf des Zertifizierungsaudits werden in diesem Beitrag gesondert dargestellt.
Entstehung der EN 9100er Normenreihe
Aufbauend auf dem ISO 9001 Standard entwickelten sich Ende der 1990er-Jahre mehrere branchenspezifische Normen, in denen ergänzende Anforderungen der jeweiligen Industrien berücksichtigt wurden. Neben der DIN EN 9100 für die Luftfahrtindustrie haben sich so z. B. auch die ISO/TS 16949 für den Automobilbau und die TL9000 für die Telekommunikation herausgebildet. Diese Nischennormen entstanden meist aus Qualitätsvereinbarungen, die dominierende Marktteilnehmer (z. B. Airbus, die Telekom bzw. die Automobilhersteller) ihren Zulieferern abverlangten. Begünstigt wurde die Entwicklung dadurch, dass basierend auf solchen Individualvereinbarungen auch Branchenverbände Qualitätsstandards parallel bzw. ergänzend zur ISO 9001 herausgaben. So hatten die Airbus-Qualitätsvorgaben in den 1990er-Jahren lange vor Erstveröffentlichung der EN 9100 maßgeblichen Einfluss auf die vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI) für ihre Mitglieder herausgegebenen Qualitätsrichtlinien. Diese bildeten ihrerseits später die Grundlage für die Entwicklung der branchenspezifischen DIN EN 9100. Überdies leistete die Veröffentlichung der amerikanischen AS9100, die der EN 9100 gleichwertig ist, kurz vor der Jahrtausendwende der Publizierung einer eigenen Luftfahrtnorm auf europäischer Ebene erheblichen Vorschub. Als unmittelbare Folge wurde 2003 die EN 9100 als erste zertifizierbare Norm der Luftfahrt, Raumfahrt und der Verteidigung für Konstruktion, Entwicklung, Produktion, Montage und Wartung durch das Europäische Komitee für Normung (CEN) veröffentlicht. 2005 folgten dann die DIN EN 9110 für Instandhaltungsbetriebe sowie die DIN EN 9120 für Händler und Lagerhalter. Im Jahr 2009 und 2016 wurden alle drei Luftfahrtnormen nochmals erheblich revidiert.
Die Aufsicht über diese Norm hat dabei die International Aerospace Quality Group (IAQG) sowie die European Aerospace Quality Group (EAQG) mit deren Hilfe die europäischen Interessen vertreten werden. In der EAQG nimmt der Bund der deutschen Luftfahrtindustrie (BDLI) die Aufgaben für hiesige Betriebe wahr.
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